Mord und Totschlag gehen irgendwie immer

T-shirt des Todes

»Hier, dein neues T-shirt, das kannst du zum Konzert anziehen«, sagte sie.

Anschließend half sie dem Mann ihrer Tante in seine Jeansjacke. Er war bei einem Arbeitsunfall in jungen Jahren erblindet, hatte sich jedoch nie unterkriegen lassen und war bald mit der Herstellung technischer Hilfsmittel für Sehbehinderte reich geworden.

Sie war die einzige Nichte der Schwester ihrer verstorbenen Mutter. Würde die Tante vor ihrem Mann sterben, so würden seine vier Neffen das ganze Vermögen erben. Häuser, Aktien, Gold, Nummernkontos in der Schweiz.

Er ließ seinen weißen Stock zu Hause, da seine Nichte ihn den ganzen Abend über führen würde. Zudem so ein Gegenstand auf Konzerten regelmäßig als störend oder sogar gefährdend eingestuft wurde.

Ein Punk mit Nieten in der Nase und Sicherheitsklammern in den Augenbrauen rückte dem Onkel auf die Pelle. »Hey, Alter, was willst’n du hier?«

»Das geht dich einen feuchten Scheiß an.«

Ein oder zwei struppige Hunde begannen zu knurren. Blitzschnell scharte sich eine Gruppe finster blickender Irokesen in zerfetzten Lederklamotten um den Onkel.

»Dir werde ich gleich zeigen, wen hier etwas angeht!« Beim Brüllen spuckte der Punk eine Fontäne aus Bier auf die Sonnenbrille des Onkels.

»Hau ab«, befahl der Onkel, »du stinkst.«

Ein wenig verblüfft war selbst sie, dass es stimmte, was seit Jahren immer wieder in der Zeitung stand. Dass die Linksautonomen so gewaltbereit waren. Vor Sachbeschädigung, Körperverletzung und Totschlag nicht zurückschrecken würden.

Das Konzert wurde von der Polizei abgebrochen. Der blinde Mann, dem eine Bierflasche den Schädel zertrümmert hatte, erregte noch wochenlang die Öffentlichkeit. Als Lieblingsnichte ihrer verwitweten Tante konnte sie sich nun genüsslich auf den Reichtum freuen. Es hatte funktioniert.

Immerhin war es eine wochenlange mühselige Arbeit gewesen, auf den Rücken des schwarzen T-shirts in lehrbuchmäßiger Frakturschrift die Worte »LINKE ZECKE – VERRECKE« zu sticken. Und darunter ein mustergültiges rotes Hakenkreuz.

ars vivendi Krimikalender für 2022, ISBN-13: 978-37472-02579 (2021)