Gaaanz ruhig, Grauer!

Der alte weiße Mann – ein immer junges Thema! Mich jedenfalls beschleicht dann und wann der schreckliche Verdacht, dass noch gar nicht alles über ihn gesagt und geschrieben wurde, was notwendig ist, und weil ich (56 Jahre, männlich, fränkische Abstammung) mich rein zufällig sehr gut mit ihm auskenne, fabuliert es sich dann ganz oberprächtig über dieses faszinierende Wesen! In diesem Fall für die Rubrik ‚korrekt‘ in der TITANIC.

Wir besuchen den verschmitzten Grauschopf in seinem Zwölfthaus in der Schweiz. Begrüßung, Handschlag, Tasse Kaffee. Und nun?
Er werde es nun langsamer angehen lassen, die wilden Zeiten seien vorbei. Dreifacher Herz-Lungen-Hirninfarkt. Muss ja nicht sein.
Müsse halt auf sich achten, doziert Grauschopf und schenkt sich Bierkrug Whiskey ein. Achtsamkeit sei eh der Schlüssel für Lebensqualität im Alter, gierig an seiner zucchinigroßen Zigarre saugend.
Er habe zwei Tipps immer befolgt, der eine sei Disziplin. Der andere auch was in der Richtung. Zwinkert verschwörerisch. So viele seiner Altersgenossen schauten nur noch darauf, wann die anderen dahingingen, aber solche habe er schon etliche auf ihrem letzten Weg begleitet.
Verbringe viel Zeit mit seiner Familie, morgen Nachmittag gleich werde er sich mit seinem ältesten Sohn, Thomas junior zum Heli-Ski treffen. Vielleicht bleibe er über Nacht in dem Hotel im Naturschutzgebiet, schließlich gehöre es ihm. Tags darauf dann mit der Frau verabredet, Golf auf Ibiza. Rein zur Entspannung, seine sportlichen Ambitionen längst zurück gefahren. Da müssten nun Jüngere ran.
Außer bei der DTM Tourenwagen Meisterschaft. Da mache er noch jedes Jahr mit, Ehrensache. Für die anderen Jungs, alle miteinander total dicke. Zusammen schon überall durch: Scheidung, Entzug, Stent, Urologe, Sterbeversicherung. Ja, sogar damit kann man, wenn man es schlau anstellt, Geld verdienen. Es liegt einfach im Graben!
Die freie Zeit in seinem Garten sei ihm wichtig, einen Baggerführerschein habe er extra gemacht, den Pool mit Gegenstrom-Surfwelle wolle er selbst bauen, als Rentner habe er ja jetzt Zeit genug. Sagt’s und knallt das Titan seines Viertgebisses in den nur Sekunden angebratenen Schenkel eines jungfräulichen Nashorns.
Überhaupt, das Alter. Kein Problem, Altersblond sei ja in Mode, stellt er in gewohnt ironischer Weise fest.
Dann aber: Über Nordic-Walking-Stecken gestürzt. Künstliches Hüftgelenk gebrochen, sei aus purem Gold gewesen. Gönn dir – was sonst? zuckt ein Lächeln durch die Alzheimer-Furchen in seiner Greisenfresse (lediglich ultraachtsam aufgespritzt).
Am Ende Penispumpe versintert, Hirnimplantat implodiert, Multi-Organ-Verzicht. Spende aussichtslos. Großer Nachruf, alle Tageszeitungen. Ehrenämter, Medaillen, Verdienstkreuz mit Haken und Hühnerfüßen. Überregional eben.
Urne aus Diamant.
Irgendwo auch wieder beeindruckend. Aber Schwamm drüber.

aus: TITANIC Heft 510, 43. Jahrgang, April 2022


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