Zum Glück können nicht alle Wohnungen sprechen

Es gab einmal eine Zeit, da druckten die Fürther Nachrichten literarische Kolumnen ab. Die Rubirk erschien jeden Mittwoch, hieß „Fürther Freiheit“ und wurde von Woche zu Woche von einer*m anderen Autor*in bespielt.

Zum ersten Mal war ich dabei in der Ausgabe vom Dienstag, 10. Juni 2008, zum Thema „Farben“

ALTBAU

„Hallo? Bist Du wach?“

„Ja, ich bin noch auf.“

„Bei mir schlafen jetzt alle. Bei Dir auch?“

„Ja. Alle schlafen.“

„Wollen wir reden?“ fragte die Wohnung im ersten Stock die Wohnung im zweiten Stock.

„Ja, gerne“, antwortete die Wohnung im zweiten Stock der Wohnung im ersten Stock.

Es entstand eine Pause, in der man nur das nächtliche Brummeln der Stadt draußen vor dem Haus hörte. Beide Wohnungen warteten gespannt darauf, wie es weiter gehen würde.

„Meine Leute haben erzählt, dass Deine Leute erst vor kurzem eingezogen sind“, sagte die Wohnung im ersten Stock schließlich.

„Das ist richtig.“

„Haben sie Dich innen neu gestrichen?“, fragte die Wohnung im ersten Stock und es war deutlich zu spüren, dass sie diese Frage sehr interessierte.

„Ja, das haben sie.“ Die Wohnung im zweiten Stock kicherte.

„Und wie?“, fragte die Wohnung im ersten Stock, die ihre Neugierde nicht zügeln konnte.

„Tja. Das ist eine längere Geschichte“, begann die Wohnung im zweiten Stock und genoss es, die Wohnung im ersten Stock auf die Folter zu spannen. „Du musst wissen, die Frau, die in mir wohnt, hat ein Feng-Shui-Buch, das jetzt vorne in meinem ersten Zimmer rechts im Bücherregal steht. Die Frau, die in mir wohnt, entschied, dass meine Zimmer, die nach Norden rausgehen, in blau gestrichen werden, die nach Osten rausgehen, in rot, und die nach Süden rausgehen in gelb. Doch dann zankte sich der Mann, der in mir wohnt, mit der Frau, die in mir wohnt, weil er behauptete, die Küche ginge nach Südwesten und müsse orange gestrichen werden.“

„Und dann?“

„Nichts, und dann“, sagte die Wohnung im zweiten Stock beiläufig. „Sie haben die Küche in gelb gestrichen, und das war’s dann. Wie bist Du denn innen gestrichen?“

„Ach, nicht besonders. Grau, alle Zimmer gleich, und überall ist ein hellgrüner Teppichboden verlegt. Es muss schön sein, wenn man in verschiedenen Farben gestrichen ist.“ Die Wohnung im ersten Stock seufzte, ehe sie fortfuhr: „Wir hätten schon viel früher miteinander sprechen sollen.“

„Finde ich auch“, sagte leise die Wohnung im zweiten Stock. Beide Wohnungen schwiegen jetzt und streckten sich wohlig. In der Wohnung im zweiten Stock knarzten die Balken im Flur.

„Tschuldigung“, sagte sie.

„Macht nichts“, sagte die Wohnung im ersten Stock, „passiert mir auch manchmal… Übrigens, die Wohnung im Erdgeschoss ist auch sehr nett, wir unterhalten uns ab und zu, wenn alle schlafen.“

„Weißt Du was das Beste ist?“, fragte die Wohnung im zweiten Stock.

„Nein, was?“

„Die Leute, die in der Wohnung im Erdgeschoss wohnen, sind ganz große Fans des 1. FCN. Wenn die Frau, die in der Wohnung im Erdgeschoss wohnt, die Wäsche im Hof aufhängt, sieht von mir hier oben der Hof aus wie die Nordkurve im Franken-Stadion: alles rot und schwarz – die Socken, die Bettwäsche, Mützen und Jacken, sogar die Unterhosen.“

„Das muss ich bei nächster Gelegenheit unbedingt ansehen…“, sagte die Wohnung im ersten Stock.

„Oh, ich muss Schluss machen!“, unterbrach die Wohnung im zweiten Stock die Wohnung im ersten Stock, „In mir ist jemand aufgewacht!“

„Ja, ich hör’s. Jemand geht über mir vor zu Deinem Klo.“

„Alles klar – bis bald.“

„Ja, bis bald, mach’s gut…“

Kurz darauf rauschte die Toilettenspülung in der Wohnung im zweiten Stock. Danach versank das ganze Haus wieder in tiefen Schlaf, nur ab und zu knackte eine Wohnung im Traum mit einem Türstock, aber niemand hörte es.

(11.4.2008)


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